Als Teil des Projekts „Kumpel, Kohle, Kali“ bietet der Hüttenstollen am Sonntag, den 6. August 2023, um 15.00 Uhr eine besondere Befahrung an. Neben der Geschichte des Osterwalder Bergbaus steht dabei die bergmännische Sozialgeschichte im Mittelpunkt. Das Beispiel des Bergmanns Heinrich Kämpchen, der nicht nur Streikführer, sondern auch Dichter war, veranschaulicht die schwierige Lage der Bergleute in der Ära der ‚großen Industrie‘.
Sonntag, 6. August 2023, 15.00 Uhr
Lesung unter Tage: Der Arbeiterdichter Heinrich Kämpchen
Dr. Olaf Grohmann liest Texte von und über Heinrich Kämpchen.
Eintritt 6,00 Euro
Bitte beachten:
Für die Teilnahme (Mindestalter 16 Jahre) an der Veranstaltung ist eine Anmeldung unter kontakt@der-huettenstollen.de erforderlich.
Die reguläre sonntägliche Stollenführung um 15.00 Uhr entfällt am 6. August!
Lyrik als Sozialkritik
Die deutschen Bergleute waren immer konservativ eingestellt. Ihr Berufsstolz und ihr Vertrauen in die Obrigkeit entstammten einer Gesellschaftsordnung, die im 19. Jahrhundert, im Zeitalter der großen Industrie, längst nicht mehr existierte. Aus Bergleuten wurden Bergarbeiter, Teil der großen Masse des Industrieproletariats, ständig bedroht von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Hunger.
Die Bergwerksbesitzer hatten sich frühzeitig organisiert, die Bergarbeiter aber zögerten lange, zu lange. Sie sandten vergeblich Petitionen an den Landesherrn und die Bergämter, bis sie schließlich doch zur Selbsthilfe schritten, mit geringem Erfolg. Bergarbeiter, die sich beschwerten, streikten oder gar der Arbeiterbewegung beitraten, wurden entlassen und auf die „Schwarze Liste“ gesetzt.
Zu denen, die sich gegen sozialen Absturz und Demütigung wehrten, gehörte Heinrich Kämpchen. Als Bergmann und Arbeiterführer im Ruhrgebiet nahm er am großen Streik von 1889 teil. Als Folge wurde er gemaßregelt, was einem Berufsverbot gleichkam.
Heinrich Kämpchen war auch Schriftsteller, Lyriker. In Hunderten von Gedichten hielt er die Gedanken, die Hoffnungen, die Not und die Kämpfe der Bergarbeiter des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fest. Seine Texte, soziale Dokumente ersten Ranges, erschienen ab 1890 regelmäßig in der „Bergarbeiter-Zeitung“. Mehr als die Honorare, die er dafür erhielt, und eine kleine Knappschaftsrente blieb Heinrich Kämpchen nicht zum Überleben.
Der Lohntag ist gekommen,
Die Bergarbeiterfrau,
Das Jüngste auf dem Schoße,
Hält Löhnungs-Überschau.
Das ist für Pacht und Steuern
Und das für Brand und Licht,
Für Brot das und Kartoffeln,
Und — weiter kommt sie nicht.
Die Rechnung ist zu Ende?
Die Rechnung nicht, das Geld.
Dem Weibe aus den Händen
Vor Schreck das Lohnbuch fällt.
Wo soll sie Fleisch hernehmen
Und Milch und Öl und Schmalz?
Fehlt doch der Groschen selber
Für eine Düte Salz.
Und borgen? — O wie gerne!
Doch das ist schon besorgt —
Der Händler gibt nichts weiter,
Sie hat sich ausgeborgt.
Was nun? Sie weiß es nimmer
In ihrer großen Not.
Der Lohntag ist gekommen —
Am liebsten wär‘ sie tot.
Heinrich Kämpchen, veröffentlicht in der
Bergarbeiterzeitung am 30.09.1911