An dieser Stelle präsentieren wir in unregelmäßigen Abständen ein besonderes Exponat, ausgewählt von einem Mitglied unseres Museumsteams. Das jeweilige Exponat wird auch in einer Vitrine in der Ausstellung gezeigt.
Ein ‚Mutterklotz‘
(Juli 2023 – Dr. Olaf Grohmann)
Kein Relikt und dennoch ein Exponat – oder eher eine Installation?
Ein ‚Mutterklotz‘ in der Sondervitrine im Eingangsbereich der Dauerausstellung.
Interessant wird das Objekt erst in Kombination mit einem Gedicht von Heinrich Kämpchen. So gehört es auch in den Kontext unseres Projekts ‚Bergbau und Kunst‘ (Im Fokus).
Der gestohlene Mutterklotz
Zum Bergmann spricht der Zechenprotz:
Du stahlst dir einen Mutterklotz,
Hast Grubeneigentum genommen,
Mein Freund, das wird dir schlecht bekommen.
Ich zeig‘ es an dem Staatsanwalt,
Der setzt dich für sechs Wochen kalt –
Dann kannst du in der Stille walten
Und weiter Mutterklötze spalten.
Du siehst nun, wie’s dem Diebe geht –
Ich nahm dich oft schon ins Gebet,
Hab‘ dich ermahnt zu deinem Frommen,
Du hast’s zu Herzen nicht genommen.
Und wenn du flennst – es nutzt dir nicht,
Verfallen bist du dem Gericht. –
Ich will’s – du sollst ins „Kittchen“ wandern!
Recht zum Exempel für die andern.
Du jammerst – sprichst von Weib und Kind –
Ja, guter Freund, warst du denn blind?
Das konntest du schon früher wissen
Und wohl das Mutterklötzchen missen.
Marsch fort, und stör mich länger nicht,
Wo es mir so an Zeit gebricht!
Du wirst verschwinden für sechs Wochen!
Es bleibt dabei – ich hab’s gesprochen!
veröffentlicht in der Bergarbeiterzeitung am 14. März 1903
Als ‚Mutterklotz‘ bezeichneten die Bergleute einen kurzen Holzabschnitt, der als Anmachholz zum Entzünden von Feuer diente. Dieser Klotz wurde anfangs mit Drähten, später mit Klebebändern stramm umwickelt und mit zwei Beilen im rechten Winkel in einzelne Stege gespalten, die dann leicht abgebrochen werden konnten.
Den ‚Mutterklotz‘ – Abfall beim Kürzen des Grubenholzes – nahmen die Bergleute von der Zeche mit nach Hause. Die Hausfrauen, von den Kumpels oft ‚Mutter‘ genannt, verwendeten das Spaltholz zum Entzünden des Feuers in Kohleöfen und Küchenherden. Allerdings war das Mitnehmen des Abfallholzes verboten und zog häufig drastische Strafen nach sich.
Als Bergmann und Arbeiterführer im Ruhrgebiet nahm Heinrich Kämpchen am großen Streik von 1889 teil. Als Folge wurde er gemaßregelt, was einem Berufsverbot gleichkam. Heinrich Kämpchen war auch Schriftsteller, Lyriker. In Hunderten von Gedichten hielt er die Gedanken, die Hoffnungen, die Not und die Kämpfe der Bergarbeiter des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fest. Seine Texte, soziale Dokumente ersten Ranges, erschienen ab 1890 regelmäßig in der ‚Bergarbeiter-Zeitung‘. Mehr als die Honorare, die er dafür erhielt, und eine kleine Knappschaftsrente blieb Heinrich Kämpchen nicht zum Überleben.
Heinrich Kämpchen – Bergarbeiter, Streikführer, Sozialdemokrat und Dichter
* 1847 in Altendorf
† 1912 in Linden (heute Stadtteil von Bochum)